"Vorbild der Versöhnung": Mevlüde Genç mit 79 Jahren gestorben

Beim Brandanschlag im Mai 1993 in Solingen verlor Mevlüde Genç fünf ihrer Familienmitglieder - und wurde danach zu einer Symbolfigur für Frieden und Versöhnung.

© Land NRW / R. Sondermann

Die Friedensbotschafterin Mevlüde Genç ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Mit ihr "verliert unser Land ein großes Vorbild der Versöhnung. Wie wenig andere hat Mevlüde Genç den Glauben an das Gute im Menschen verkörpert", äußerte sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst laut Angaben der Düsseldorfer Staatskanzlei nach ihrem Tod. "Wir werden Mevlüde Genç und ihr Wirken schmerzlich vermissen. Unsere Gedanken und Gebete sind bei ihrer Familie", sagte der CDU-Politiker.

Mevlüde Genç und ihr Mann Durmuş Genç hatten im Mai 1993 zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verloren, nachdem Rechtsextremisten Brandsätze in ihr Haus an der Unteren Wernerstraße in Solingen geworfen hatten. Bei dem Brandanschlag in der Nacht des 29. Mai 1993 waren 17 Familienmitglieder schwer verletzt worden. Der Anschlag löste große Bestürzung, aber es kam in den folgenden Tagen auch zu schweren, teils gewalttägigen Ausschreitungen unterschiedlichster Gruppierungen in Solingen. Mevlüde Genç rief damals Deutsche und Türken zur Versöhnung auf: "Sie hat damit unsere Stadt in den Tagen nach dem Brand, die von Angst, Hass und teils gewalttätigen Demonstrationen bestimmt waren, vor großem Schaden bewahrt", erinnert Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD). "Sie hat die Zornigen besänftigt und die Traurigen getröstet und Frieden in die Stadt gebracht." Kurzbach würdigt die Verstorbene als Frau mit großem Herzen: "Viele haben eine beispielhafte Mutter in ihr gesehen, dabei von großer Wortgewalt. Wir schulden ihr Dank." Kurzbach hat der Familie heute bereits sein Beileid ausgesprochen.

Die NRW-Landesregierung stiftete ihr 2018 zu Ehren eine Mevlüde-Genç-Medaille für besondere Verdienste um Toleranz, Versöhnung zwischen den Kulturen und um das friedliche Miteinander der Religionen. "Mevlüde Genç hat den Frieden und die Versöhnung immer an erste Stelle gesetzt. Sie verstand es, den unermesslichen Schmerz, der ihr zugefügt wurde, umzuwandeln in Kraft, um sich für andere Menschen einzusetzen. Sie hat den Hass, die Gewalt und die Missgunst, die ihr entgegenschlugen, als Großherzigkeit und Toleranz zurückgegeben", sagte Wüst.

Auch die NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) gedachte Genç in einer Mitteilung ihres Ministeriums nach ihrem Tod: "Zeit ihres Lebens hat Mevlüde Genç zu Toleranz und einem friedlichen Miteinander zwischen den Kulturen aufgerufen. Dafür gebührt ihr mein Dank und der unserer gesamten Gesellschaft. Meine Gedanken sind bei Familie und Freunden dieser beeindruckenden und starken Frau." Landtags-Präsident André Kuper (CDU) kündigte an, dass der NRW-Landtag Mevlüde Genç am kommenden Mittwoch mit einer Schweigeminute gedenken wird.

Mit Material der dpa

Reaktionen zum Tod von Mevlüde Genç

Tim Kurzbach, Oberbürgermeister der Stadt Solingen (SPD):

"Die Familie Genç hat am 29. Mai 1993 in Solingen furchtbares Leid erfahren. Obwohl Mevlüde bei diesem Anschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor, hat sie unmittelbar nach der Katastrophe Deutsche und Türken in Solingen zu Freundschaft und Versöhnung aufgerufen. Sie hat damit unsere Stadt in den Tagen nach dem Brand, die von Angst, Hass und teils gewalttätigen Demonstrationen bestimmt waren, vor großem Schaden bewahrt. Sie hat die Zornigen besänftigt und die Traurigen getröstet und Frieden in die Stadt gebracht. So hat sie auch den Weg zur Verständigung und einer neuen Integrationspolitik bereitet, in Solingen und in ganz Deutschland.

Mevlüde Genç war eine Frau mit einem großen Herzen, viele haben eine beispielhafte Mutter in ihr gesehen, dabei von großer Wortgewalt. Wir schulden ihr Dank. Noch vor wenigen Tagen haben wir zusammengesessen, um über den 30. Jahrestag des Brandanschlages im nächsten Jahr zu sprechen. Es war ihr wichtig, dass das Gedächtnis an ihre ermordeten Kinder Teil der Erinnerungskultur Solingens bleibt, auch über die Lebensspanne der Zeitzeugen hinaus, und dass junge Menschen in die Erinnerungsarbeit einbezogen würden. Weil der Brandanschlag zeige, welche brutalen Konsequenzen Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit haben müssen, wenn wir Ihnen nicht immer entschieden entgegentreten. Ich habe Mevlüde Genç und der Familie versprochen, dass die Stadt dieses Gedächtnis, das jetzt ihr Vermächtnis ist, wahren wird."

Josef Neumann, SPD-Landtagsabgeordneter aus Solingen:

"Nach dem schrecklichen, rassistischen Brandanschlag, bei dem fünf Mitglieder ihrer Familie den Tod fanden, hat Mevlüde Genc uns die Hand gereicht und damit den Weg für ein gemeinsames und respektvolles Miteinander geschaffen. Gern blicke ich auf die zahlreichen privaten und öffentlichen Begegnungen zurück, die stets von Herzlichkeit und Freundschaft geprägt waren. Meine Gedanken sind bei der Familie, der ich Kraft und Zuversicht wünsche. Möge Mevlüde Genc in Frieden ruhen."

Iris Preuß-Buchholz, Vorsitzende der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Solingen:

„Die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Solingen verneigt sich in Dankbarkeit und Trauer vor Mevlüde Genç. Trotz allem, was ihr und ihrer Familie beim Brandanschlag am 29. Mai 1993 an Leid zugefügt wurde, hat sie bis zuletzt all ihre Kraft für Aussöhnung und ein friedliches Miteinander eingesetzt. Ohne Mevlüde Genç hätte es nach dem 29. Mai 1993 wohl kaum gelingen können, die Solinger Stadtgesellschaft wieder zu einen und zu einem guten Zusammenleben zu führen. In diesen Stunden des Abschieds fühlen wir uns ihrem Mann, ihren Kindern und ihrer gesamten Familie in Dankbarkeit und Trauer verbunden.“

André Kuper, CDU-Politiker und Präsident des NRW-Landtags:

„Nordrhein-Westfalen verliert ein Vorbild für das friedliche und tolerante Miteinander. Ich habe Mevlüde Genç 2018 kennengelernt, 25 Jahre nach dem fremdenfeindlichen Brandanschlag von Solingen. Sie ist Hass und Gewalt mit Vergebung und Liebe entgegengetreten. Die Größe, mit der sie Schmerz und Trauer in Vergebung gewandelt hat, bleibt – auch über ihren Tod hinaus. Sie bleibt für immer ein Vorbild für Versöhnung und Toleranz. Wir und besonders die Menschen in Solingen werden sie vermissen."

Mevlüde Genc im Mai 2018 bei der Gedenkfeier des Landes zum 25. Jahrestag des Solinger Brandanschlags© Land NRW / R. Sondermann
Mevlüde Genc im Mai 2018 bei der Gedenkfeier des Landes zum 25. Jahrestag des Solinger Brandanschlags
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